Was beschreiben Betroffene, welche Situationen zeigen die alltäglich ansträngenden Symptome der ehemaligen Überlebensstrategie?
Ich möchte mich hier weniger auf die diagnostischen Kriterien oder manchmal auch unverständlichen Aussagen der Ärzte, sondern auf oftmals immer wieder Auftretende Erlebnisse zum Thema DSNNS.


Ich glaube mir nicht!

Auffällig ist besonders das völlig verstörte Selbstbild. Man glaubt sich selber nicht mehr (falls man es vor der Diagnose vielleicht sogar getan hat). Ist sich seines ganzen Erlebens völlig unsicher, viele denken sie Schauspielern die anderen Anteile, man lügt, fühlt sich intrigant und manipulierend.
Das schwierige ist hier, dass es auch "schwarze Schafe" gibt, welche mit Sicherheit auch ernstzunehmende Probleme haben, aber das eben tatsächlich und bewusst spielen um etwas damit zu erreichen. Und hier genau liegt der Schlüssel Satz, wenn man ehrlich zu sich selber ist:

Was würde es dir positives und bezweckendes bringen, dass du dir die Anteile / Persönlichkeiten "nur" ausdenkst oder hat dies für dich irgendeinen positiven, lebenserleichternden Aspekt?

Die "Schauspielerei" hat nur Nachteile und vor allem kann man sie nicht sein Leben lang aufrechterhalten. Irgendwann würde es rauskommen und ich weiß, genau vor diesem Augenblick fürchtet man sich, aber seltsamer Weise kommt dieser Moment nicht. Vielleicht gibt es einen vertrauten Menschen, der dich oder euch kennt und manchmal helfen genau diese Aussagen der Vertrauten (auch wenn sie keine Ahnung von euch oder Dissoziation haben) erheblich. Vielleicht bekommt man oft zu hören, dass man "dich nie einschätzen kann", man "das Gefühl hat ständig mit wem anderes zu reden" oder "du verschiedene Gesichter hast". Vielleicht aber bemerkt man auch vieles selber, man erinnert sich nicht richtig an irgendwelche Namen oder Personen, stellt in verschiedenen Momenten / Stresssituationen völlig verschiedene Lebensansichten fest und spürt die Anwesenheit von mehreren völlig gegensätzlichen Gefühlen. Ein großes Problem im Gegensatz zur Diagnose DIS ist vor allem die vielleicht "fehlenden Beweise", welche bei Menschen mit der dissoziativen Identitätsstörung die Akzeptanz der Diagnose manchmal "einfacher" machen. Es kann zum Beispiel sein, dass keine unterschiedlich geschriebenen Schriftstücke gefunden werden, oftmals keine andauernden Amnesien entstehen (durch welche man dem ganzen Erleben eventuell etwas mehr Glauben schenken kann) oder eine direkte Abtrennung der verschiedenen Persönlichkeiten auftreten und trotzdem ist man "viele".

Glaube dem was du wahrnimmst, denn das ist deine Wahrheit!

 

Ich funktioniere.

 

Viele der Betroffenen haben das Gefühl rein zu funktionieren, um nicht aufzufallen. Man lernt über die Jahre nach außen klarer zu wirken, kennt den Unterschied was bei anderen Menschen als "normal" angesehen wird und was auch nicht. Vielleicht sogar schafft man alles für andere ganz wunderbar, kann alles machen, was psychisch gesunde oder Uno´s (Menschen mit einem gesundem Ich) den Tag über ebenso tun (Feiern gehen, Arbeit ausführen etc.), aber was keiner sieht, weil es über die Jahre so gut erlernt wurde ist die extrem ansträngende innere Arbeit um all das zu bewältigen und um eben genau so zu funktionieren, wie es die Gesellschaft einem gewissermaßen vorschreibt. Eine Betroffene mit DIS sagte zu mir einmal: Es gehen 80% der Kraft mit der Innenorganisation drauf, 10 % bleibt vielleicht für die Arbeit und weitere 10% für Partner und Co.

Genau diese Aussage kann auch zu Menschen mit einer DSNNS zutreffen und keiner der Mitmenschen bemerkt das wirklich. Vielleicht wird wahrgenommen, dass der Betroffene oft in Kliniken ist oder in Psychiatrien, aber als Außenstehender wird man seltenst einbezogen und weiß gar nicht, wie der Betroffene therapiert wird oder aus welchem Grund er dort ist. Man sieht als Außenstehender vielleicht plötzlich auftretende andere Lebenseinstellungen oder völlig unterschiedliche Verhaltensweisen, aber schiebt es darauf, dass jener eben "so ist" ohne zu hinterfragen. Es wird sich gewundert, aber da fast keine Aufklärung in der Öffentlichkeit stattfindet, zucken deren Mitmenschen nur mit den Achseln, wenden sich ab oder akzeptieren das ohne das Hintergrundwissen.

Das Funktionieren ist also immens erschöpfend und wirkt für einen selber tatsächlich wie eine Schauspielerei, da den Part des Alltags eventuell ein Team oder eine Alltagsperson einnimmt, welche das schon gewohnt ist. Aber das alles mitzubekommen und zu wissen, dass so herbe Arbeit darin steckt ist für viele Betroffene sehr erschreckend und traurig, denn oft kann dadurch keine neue Kraft mehr geschöpft werden und meistens kommt es nach den Funktions-Situationen zu einem richtigen Trubel im Innen und dann auch im Außen. Für jeden kann dieses Funktionieren anders aussehen, aber viele der Betroffenen teilen diese Anstrengung.

 

Ich bin viele, oder doch nicht?!

Besonders beim Typ 1 der DSNNS, also dem fließendem Übergang zu einer DIS ist genau diese Frage unendlich quälend und kräftezehrend.
Die einen wissen es, dass viele anderen in einem stecken, weitere wissen, dass es "nur" verschiedene Anteile vom Selbst sind (und bezeichnen sich auch nicht als "viele") und wiederum weitere haben ganz ähnliche Probleme mit der Annahme von weiteren Persönlichkeiten wie bei Menschen mit DIS.
Und genau das macht alles so schwierig, es sind so fließende Übergänge und mal trifft alles, mal gar nichts und ein weiteres Mal nur ein gewisser Teil zu. Oftmals geht es aber genau um diese Frage und das Hinterfragen der Feststellung geht es in vielen Situationen. Man hört die anderen, die Stimmen im Kopf, sieht wie sich alles verändern kann von Haltung, Mimik und Stimmlage, aber es ist ja nicht so. "Ich kann es bestimmt jederzeit abstellen", aber kann man das wirklich? Höchstwahrscheinlich nicht und damit kann man seine eigene Glaubwürdigkeit für sich selber auch etwas feststellen. Gut möglich ist es auch, dass keiner der vorhin aufgezählten Auswirkungen bemerkt werden, wie gesagt es ist bei jedem unterschiedlich. Aber einem kann man sich gewiss sein: Es wird mit der Zeit strukturierter und das eigene Glauben wird besser, auch wenn es Jahre dauert.

Das Glauben an die anderen ist oftmals ein langanhaltender Prozess und wird immer wieder mit Rückschlägen zum "nicht-fassen können" gekennzeichnet. Bei Menschen mit einer ausgeprägten DIS gibt es oftmals Persönlichkeiten, welche das alles nicht glauben, welche die wildesten Erklärungen für die "vermeintlich anderen" erfinden und genau das kann auch bei einer DSNNS passieren: Persönlichkeiten oder Anteile, welche genau dieses im Kopf haben:
"Was nicht sein darf, kann nicht sein!"

Manchmal vermischen sich aber viele Empfindungen, mal fühlt ein Betroffener sich als einzelne Person und manchmal mehr als "viele", es ist gut möglich, dass entweder ein funktionierender Anteil / Persönlichkeit sich vorne "bewegt" oder es auch ganz einfach gerade eben so ist. Die Akzeptanz, dass es sich gerade so oder anders anfühlt hilft meistens ein wenig, aber am besten kann darüber mit einem geschulten Therapeuten / Arzt gesprochen werden.

weiteres folgt...

 

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