Zweifel an der vom Diagnostiker gesicherten Diagnose (partielle) dissoziative Identitätsstörung treiben sehr viele Betroffene um.

In unserem Chat für Betroffene sprechen wir vom "Zweifel-Zug" der bei manchen in der Umgebung vorbeifährt und ab und zu im Leben Halt macht.
Mal ist er lauter, mal ist er leiser, die Schienen sind jedoch bei allen Betroffenen "gelegt", weshalb sich viele mit ihm konfrontiert sehen.
Auch sprechen wir von "inneren Schallplatten", welche oftmals aus der Vergangenheit kommen und welche immer wieder auf dem inneren Schallplattenspieler abgespielt werden.

Zweifel an dem, was man erlebt hat, an dem was man bis jetzt "weiss", an allem was mit Therapie zu tun hat, sind immer schwer auszuhalten.
Meist kommen diese Phasen in Wellen, zu Beginn kommen die ersten Irritationen sporadisch auf, dann - sofern man nicht frühzeitig eingreift - immer häufiger und gipfeln im schlimmsten Fall mit dem Abbruch der therapeutischen Beziehung oder dem Abschotten von allem, was "Zweifel an den Zweifeln" aufkommen lässt.
Diese Wellen sind nicht zu unterschätzen und müssen insbesondere in der ambulanten Therapie so früh wie möglich besprochen werden:

 Verfasst eine Strategie gemeinsam mit dem Therapeuten, wie in solchen Abbruch-Situationen umgegangen wird.
Dies könnte zum Beispiel so aussehen:

Wenn ein Anteil bspw. die Therapie abbrechen will (meist ist das ein oder eine Gruppe von  EP´s [1] der selbstständig per E-Mail oder per Nachricht auf den Anrufbeantworter die Therapie einseitig abbricht), wird immer erst in der nächsten Stunde darüber gesprochen (Quasi als Abschlussgespräch).

Darüber lassen sich dann auch andere Anteile / ANP´s erreichen, um gemeinsam herauszufinden, was gerade los ist - ohne dass die ANPs den Scherbenhaufen alleine aufkehren müssen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass wenn der Zweifel-Zug einfährt, dies für manche Anteile die aus deren Sicht "logische Konsequenz" ist!

{fa-bullhorn } Typische (innere) Aussagen zum Thema Zweifel an der Diagnose / dem Erlebten

Es ist möglich, dass der Betroffene "plötzlich" beispielsweise folgende Sätze / Wörter / Emotionen / Aussagen von anderen Anteilen erlebt:

"Ich bin nicht krank!"
"Ich darf gar nicht in die Therapie, weil ich eigentlich gesund bin!"
"Ich strenge mich nur nicht genug an im Leben!"
"Ich habe mir alles nur ausgedacht!"
"Ich bin böse und lüge!"
"Ich bin ein Schauspieler!"
"Du hast uns alle verraten!"
"Du bist nicht krank, du bist nur verrückt und niemand kann dir helfen!"

"Nimm keinem den Platz in der Therapie weg, du hast gar nichts!"
"Die Diagnose kann nicht stimmen, es (die traumatischen Erlebnisse) war nicht schlimm (genug)!"
[...]

{fa-gears } Gründe, warum Zweifel besonders bei Betroffenen mit (p)DIS entstehen

Der Ursprung des Zweifel-Mechanismus liegt in der strukturellen Dissoziation. Der Grund für das Entstehen der (p)DIS ist immer (auch) ein Bewältigungsmechanismus auf langanhaltende traumatische Erlebnisse.
Wenn das Kind psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt ist, versucht das Gehirn diese anhaltenden erschütternden Erfahrungen auszuweichen, um zu überleben.
Es wird sich vom Erleben distanzieren. Dissoziation ist eine Bewältigungsstrategie um aus unfliehbaren Zuständen zu entkommen. Die Erfahrungen werden weggepackt und alles was dazugehört:
Emotionen, Umgebung, Erinnerung, Bedürfnisse, Wünsche, Sorgen und Gedanken zu diesem Zeitpunkt.

Der Zugang dazu ist also durch dissoziative Barrieren geschützt, damit das Kind nicht weiter überflutet wird, von der Schrecken-behafteten Realität. Es wurden "neuronale Autobahnen" (sehr starke Nerven-Verbindungen) gesetzt, die immer wieder sehr gut ausgebaut werden und meist nicht ohne Hilfe von außen zu umfahren / einen Schotterweg zu bauen sind.
Bis der neue und gesündere Schotterweg zu einer Autobahn wird, muss er ständig und immer wieder befahren werden. Zu Beginn muss dieser Weg bewusst gewählt werden, bis das "innere Navigationssystem" die neue Strecke kennt und automatisch dorthin lenkt.
Auch im Erwachsenenalter sind diese starken neuronalen Wege fest verankert, daher ist es wichtig bewusst auf die Situation einzugehen, auch sich daran zu erinnern, dass dies wahrscheinlich nicht das erste Mal ist, dass am Erleben gezweifelt wird.

Das klingt schwierig, ist aber schaffbar!

Ein wichtiger Punkt ist, daran zu denken, dass aufkommende Zweifel am Erlebten und an der Diagnose ein Marker für eine Stresssituation beim Betroffenen ist:

Beispielsweise könnte es sein, dass man Hilfe anhand von Therapie gesucht hat oder gerade auf der Suche nach einer ambulanten Therapie ist.
Meist ist der Betroffene gewohnt, keine Hilfe zu erhalten oder auch bestraft zu werden, wenn um Hilfe gebeten wurde oder ein Bedürfnis ausgesprochen wurde.
Durch die zu erwartende Bestrafung kann es möglich sein, dass innere Anteile (meist EP´s), den Betroffenen genau davor schützen wollen, schlicht weil es nicht anders erlernt wurde.
Der Weg zum Hilfe annehmen ist oftmals ein beschwerlicher und mit vielen Ängsten und Sorgen verbunden, jedoch: Manchmal wird es erst schlimmer, bevor es besser wird.

Vielleicht wurde innerhalb der therapeutischen Begleitung über ein bestimmtes Thema gesprochen, welches die Zweifel ausgelöst hat.
Wenn man einem traumatischen Erlebnis zu "nahe" kommt oder noch nicht die benötigten Ressourcen zum Aushalten vorhanden sind, kann dies große Ängste auslösen.
Bei der strukturellen Dissoziation wurden somit dissoziative Barrieren gesenkt, was die Wucht des/der traumatischen Erlebnis(sen) erhöht.
Folglich kann der Betroffene mit der Situation überfordert werden, entsprechende Schutzmaßnahmen des Systems fahren hoch, die neurologischen "Autobahnen" werden verlassen, der "Feldweg" wird ausprobiert und dort holpert es.
Vielleicht sieht man gerade auch zu einem Punkt hin, der zuvor immer schön verpackt in der inneren Kiste lag. Es kann sehr beängstigend werden, wenn man sich dem zuwendet.
Das bedeutet: Erstmal einen Schritt zurück und tief durchatmen, etwas Pause von dem Thema nehmen und den Fokus auf Ressourcen-Bildung lenken.


{fa-asterisk } Hilfe um gegen die Zweifel anzukommen

Es ist hilfreich, sich der Kernproblematik bewusst zu werden: Innere Zweifel haben eine Funktion und sind eine Coping-Strategie / Abwehrmechanismus.
Somit ist es sehr wichtig, darüber in der psychotherapeutischen Begleitung zu sprechen, im Idealfall bevor der Zweifel-Zug anfährt, da Handlungsfähigkeit besteht und ein Plan ausgearbeitet werden kann, wie man mit dem Thema umgehen kann.
Dieser Plan sollte nach jeder Welle erneut angesehen werden, prüfen, was hat geholfen und was hat die Zweifel verstärkt. Sprecht darüber in der Therapie!

Auch wenn keine psychotherapeutische Anbindung besteht, kann man einiges unternehmen:

Ähnlich wie beim Züricher Ressourcen Modell (In der Ressourcenaktivierung in Phase 1 sucht man sich Bilder aus, die mit positiven somatischen Markern verbunden sind, also etwas, das sich körperlich "gut" anfühlt.) kann man mit "Ressourcen-Bildern" arbeiten.
Sich ein angenehmes Bild aussuchen und positive Affirmationen / Ideen mit Bezug auf Zweifel schreiben und diese Ressourcenkarten nacheinander lesen:

"Durch Zusammenreißen, mehr anstrengen oder ähnliches, lassen sich deine Symptome nicht in den Griff kriegen"
"Selbst wenn das alles nur Einbildung ist - sind die Symptome sehr sehr real - egal wie sie ein Teil von dir bezeichnet"
"Selbst wenn du mal eine Woche versucht - dem "Folge zu leisten" - werden die Symptome wieder kommen"
"Alleine - dass jemand in dir sagt - dass das alles Einbildung sei - ist ein Marker dafür - dass da jemand existiert"
"Wenn möglich - mache einen Realitätsabgleich mit jemanden der "die anderen" schon mal kennengelernt hat"
"Versuche mit anderen Betroffenen über den Zweifel-Zug zu reden - haben sie eigene Erfahrungen die deinen ähnlich sind?"
"Vielleicht kann dir die "radikale Akzeptanz" helfen den Zustand gerade wie er ist zu akzeptieren - mach eine Pause"
"Hat sich seit der Diagnose nicht auch dein Alltag verbessert und könnte das nicht auch am Annehmen der Diagnose liegen?"
"Zu versuchen als wäre es nicht so hilft nicht langfristig - es ist höchstwahrscheinlich eine Coping-Strategie"
"Dein Leidensdruck lässt sich am besten mit deiner Diagnose zusammenfassen"
"Vertraue demjenigen der dir die Diagnose gestellt hat - der Therapeut ist verantwortlich für die Diagnose und nicht der Patient - der Therapeut ist somit auch dafür verantwortlich zu erkennen das "lügen" oder "vorspielen" zu erkennen!"
"Es ist völlig normal dass es sich so anfühlt als ob alles nur ein Traum war oder sich gänzlich surreal oder nicht zu dir gehörig anfühlt! Das bringt die strukturelle Dissoziation mit."
"Es ist normal - dass die anderen Realitäten von "anderen Anteilen" nichts mit dir zu tun haben - du kannst sie noch nicht als zu dir gehörig annehmen und dissoziiert"
"Es ist schwierig etwas zu versuchen zu verstehen - worauf man gar keinen Zugriff hat - das gehört zur strukturellen Dissoziation!"
"Geh weg von dem Druck etwas absolut zu verstehen - die Logik dahinter benötigt Handlungssysteme auf die zum Beispiel im Moment keinen Zugriff besteht"
"Versuche dem Zwang deine ganzen Fragezeichen mit Logik zu lösen aus dem Weg zu gehen - zum Beispiel mit physischer Ablenkung wie ein Spaziergang oder ein angenehmen Spiel / Bastelaufgabe"
"Deine Zweifel haben auch ein Ausrufezeichen: Vielleicht ging etwas zu schnell oder ein Thema war zu nah - so oder so: Jetzt ist Pause vom Denken und Verstehen wollen angesagt!"

Beispiel für eine Zweifel-Ressourcenkarte:


Manche Betroffene von struktureller Dissoziation gehen in einen Gegenangriff vor:
Es wird sich bewusst dem zugewendet, man spricht die Schallplatten oder Anteile direkt an und geht einen Kompromiss ein:

"Hallo! Ich habe dich gehört und nehme dich wahr!"
-> Direktes Zuwenden schafft Erleichterung
"Vielen Dank für deine Besorgnis, ich habe gehört, was du möchtest, gibt es etwas, was du brauchst? Hast du ein Bedürfnis?"
-> Wertschätzung des Anteils und Integration in den Alltag
"Das ist ein spannender Gedanke, den du hast. Ich werde ihn aufschreiben, dann musst du ihn mir nicht den ganzen Tag sagen!"
-> Entkräftung der "Dauerbeschallung"
"Wollen wir gemeinsam versuchen, deine Aussage in die Realität umzusetzen? Wenn ich nur schauspieler und ich somit jetzt aufhöre, dann müssten folglich alle Symptome wie Dissoziation, Flashbacks, Stupor, Intrusionen, Entfremdung auch wegfallen - richtig?"
-> Kompromisslösung finden und eine Woche ausprobieren, wie es ist, wenn man "einfach aufhört", folglich im inneren Diskurs das Ergebnis beschreiben
{fa-exclamation-triangle } Achtung, das ist nicht für jeden Betroffenen ein Weg, das sollten Betroffene probieren, die bereits die Zweifel-Wellen kennen und auch mit dem Therapeuten danach besprechen, welche Erfahrungen gemacht wurden

Wichtig ist: Sich bewusst machen, dass dies höchstwahrscheinlich eine Phase ist, die auf Grund der strukturellen Dissoziation dazugehört, die einen Anfang und auch ein Ende hat, die händelbarer wird, je öfter und früher man eingreift.

Liebe Grüße,
Linehme

[1] Siehe Strukturelle Dissoziation "Was ist ein EP"

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